Aus »Space Games – Mitspieler«
Das Titanabkommen
Das Titan-Abkommen beinhaltet eine Reihe von internationalen Beschlüssen aus dem Jahr 2174, nach denen das Aussehen und das Zusammenleben von menschengleichen
Robotern neu geregelt wurde.
- Ein Androide durfte nicht mehr der gesetzliche Vertreter eines Menschen sein.
- Die Ausrucksweise einer künstlichen Lebensform musste soweit eingeschränkt werden, dass sie keine Beziehung oder beziehungsähnliche Konversation betreiben
konnte.
- Das äußere Erscheinungsbild von Androiden wurde streng reguliert, ein menschliches Ebenbild war nicht mehr erlaubt.
Die Maschine wurde vom Menschen ihrer Menschlichkeit beraubt.
Hintergrund war ein Sozialexodus, der Mitte des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts einsetzte und dem sich vor allem Menschen ende Dreißig anschlossen. Diese
Personen verzichteten auf jeglichen menschlichen Kontakt, um allein unter menschengleichen Robotern zu leben. Die erlittenen Enttäuschungen misslungener Beziehungen und das Konfliktpotenzial
innerhalb einer Gemeinschaft war ihnen einfach zuviel. Dagegen war die Beziehung mit einem folgsamen Androiden sehr viel leichter. Er belästigte den Besitzer nicht mit eigenen Bedürfnissen und
verweigerte niemals den Sex.
Als die Androiden der fünften Generation auf den Markt kamen, die sogenannten Replikanten, verschärfte sich das Problem weiter. Sie waren auch nach der
Herstellung modifizierbar, es wurde also niemals langweilig mit ihnen. Zudem ließ ihr Verstand es zu, als rechtmäßigen Vertreter des Besitzers aufzutreten. Der Androide wurde zum Gefährten,
Diener und Sexualpartner in einem.
Den Wettkampf um den angenehmsten Partner hatte der Mensch gegen den Roboter verloren.
Viele dieser Personen verloren nach einigen Jahren jegliche Zurückhaltung und Anstand im Kontakt mit anderen Menschen, diese Personen gründeten natürlich auch
keine Familien oder wenn doch, waren sie ihren Kindern kein gutes Vorbild für die Lösung auftretender Konflikte.
Der Mensch verabscheute den Menschen, eine Entwicklung, die unweigerlich zum Aussterben der eigenen Art führen würde.
Ich gebe zu, in dieser kurzen Hintergrunderklärung vermische ich einige unterschiedliche Umstände zu einer allgemeinen Situation. Ich erwähne die soziale Isolation
einiger Menschen, den Sex mit Robotern und den Wettbewerb zwischen Menschen und Robotern. Jeder einzelne dieser Umstände existiert bereits heute.
Im »Titan-Abkommen« geht es darum wie diese Ursachen zusammenspielen und welche Folgen sich daraus ergeben können.
Als erstes, stellen wir uns mal vor, einige tausend Menschen würden sich aus dem sozialen Leben zurückziehen. Sie entschließen morgens, nicht mehr zur Arbeit zu
gehen, keine Freunde oder Verwandte mehr zu treffen und einfach, gar nicht mehr das Haus zu verlassen. Der Rückzug aus dem sozialen Zusammenleben wird in unserer Zeit geradezu
gefördert.
Beispiele gefällig? Sei es ob wir über E-Mails oder Massanger kommunizieren, anstatt zu telefonieren.
Wir kaufen online ein, nicht nur Kleidung, sondern auch schon den ganz alltäglichen Lebensmitteleinkauf kann man sich nachhause liefern lassen.
Um eine Pizza zu bestellen oder gar jemanden kennen zu lernen, reicht es, ein Online-Formular auszufüllen.
Kontoüberweisungen werden online erledigt, nicht bei der Angestellten am Bankschalter. Durch diese veränderten Lebensverhältnisse begegnen wir immer wenige Menschen
in unserem Alltag und wem wir begegnen, mit dem reden wir kaum noch. Die Menschen in unserer Umwelt werden zu Statisten.
Doch diese Erscheinungen treten nur passiv in unser Leben, sie entstehen, weil viele Arbeitsschritte digitalisiert werden. Und Digitalisierung ist
Anonymisierung.
Wenn sich jemand jedoch aktiv dazu entscheidet nicht mehr aus seinem Haus zu kommen, dann gilt er als verschrobener Einsiedler. Wenn Kinder, Jugendliche oder
Erwachsene allerdings nicht mehr aus ihrem Zimmer kommen, dann sind sie schon seltsam, »Nerds« die vor dem Computer und Fernseher hocken. Die Eltern meckern etwas darüber, dass der Sohn blass
ist, doch sie kochen ihm sein Essen und sind froh, wenn er am Morgen in die Schule geht. »Jeder hat mal so eine Phase.«
In Japan allerdings gibt es bereits tausende Menschen die sich aus dem sozialen Leben, oft auch von der Familie, zurückziehen. Hikikomori wird das Phänomen dort genannt. Bis zu einer Million Japaner leben
freiwillig isoliert. Nah gut, denken jetzt einige, Japaner sind ohnehin ein seltsames Völkchen aber was hat das mit uns oder Space Games zu tun? Um Zusammenhänge zu erkennen sollte man erstmal
nach den Gründen fragen. Die Ursachen für Hikikomori sind jedoch nicht mal in Japan geklärt. UND Hikikomori tritt auch in Spanien und anderen
Ländern auf.
Es gibt lediglich Hinweise auf vermehrt auftretende Ursachen. Psychische Probleme, ausgelöst durch wirtschaftlicher Misserfolg oder Mobbing in der Schule, sind
häufig Auslöser. Man könnte sagen, Scham vor dem eigenen Versagen und Angst vor Konfrontation. Aber auch die in Japan sehr strengen gesellschaftlichen Normen gelten als Grund, sich
zurückzuziehen, denn wer nicht beobachtet wird, muss auch nicht tun, was die Gesellschaft von ihm erwartet.
Eines jedoch, ist immer gleich, die Betroffenen entscheiden sich aktiv für ihre Isolation.
Oft ziehen sich die Betroffenen Jahre lang zurück, also nicht nur für die Dauer eines Problems oder aus schlechter Laune. Sie gehen ins soziale Exil, inmitten aller
anderen Menschen. Durch die Digitalisierung wird ein solch zurückgezogenes Leben immer komfortabler. Einkäufe und auch fertiges Essen lässt sich über das Internet bestellen. Sogar der Kontakt zu
Ärzten lässt sich online erledigen, für eine Ferndiagnose reicht eine Webcam. Und seien wir ehrlich, Sex, also Pornoseiten, gibt es auch zur Genüge. Wer braucht da noch andere
Menschen?
Früher wäre die größte Herausforderung noch das Geldverdienen gewesen, aber heute? Digital Nativs und Home-Office, sind doch nur einzelne Synonyme für die
Möglichkeit, Geld zu verdienen ohne direkten menschlichen Kontakt.
Youtuber, Schriftsteller(Hahaha, ja ich.), Online-Broker, Grafik-Designer, all diese Berufe lasen sich erlenen, ohne einen anderen Menschen zu treffen.
Fernlehrgänge werben gerade zu mit ihrer Asozialität.
Die Umwelt jedoch will die Zurückgezogenen nicht aufgeben. In Japan werden auch sogenannte Miet-Schwestern oder Brüder eingesetzt um langsam Kontakt zu den
Zurückgezogenen aufzubauen. Wenn man sich nach jahrelanger, langsamer Annäherung über Briefe und Telefonate dann persönlich trifft wollen die Miet-Geschwister den Betroffenen helfen, wieder
Kontakt zu den eigenen Familienmitgliedern und vielleicht auch zur Gesellschaft aufzunehmen.
In Japan arbeiten aber auch Roboter in Krankenhäusern und Altersheimen. Warum nicht auch mit zurückgezogenen Menschen? Die japanische Universität von Tohoku hat
darum mit einem Pilotprojekt begonnen, bei dem kleine Roboter wie Haustiere bei Hikikomori Betroffenen eingesetzt werden. Sie sollen gezielt die sprachliche Interaktion fördern, damit die
Betroffenen wieder daran gewöhnt werden, mit jemandem zu reden. Gleichzeitig wird der Schriftliche und telefonische Kontakt zu einer Miet-Schwester oder Bruder aufgebaut.
In der zweiten Phase wird das Haustier durch einen Telepräsenz-Roboter ersetzt. Dieser fährt selbstständig durch die Wohnung des Betroffenen, der sich so an
jemandem in seinem Haushalt gewöhnt. Wenn der Betroffenen einem ersten Treffen mit einem Menschen zustimmt, kann der Helfer in die Rolle der Telepräsenz schlüpfen. So werden der bekannte Körper
des Roboters und die bekannte Stimme des Helfers verbunden.
Die Universität prüft nun die Umkehr dieser Schritte, so dass der Betroffene selbst dei Telepräsenz nutzt um das Haus wieder zu verlassen.
In der japanischen Gesellschaft werden Roboter als Helfer in Krankenhäusern und Altenheimen von weit mehr Menschen akzeptiert als in Europa. Gleichzeitig sind
menschenähnliche Sexpuppen, deren Haarfarbe und Proportionen selbstbestimmt werden können keine Seltenheit mehr.
Was geschieht aber wenn das Leben mit Robotern weit aus leichter und einfacher wird als das mit Menschen? Was wenn der Roboter wirklich in den Wettbewerb um potentielle Partner
einsteigt?
Nicht in der Weise wie es eine Folge von »Outer Limits« aufzeigt. Nicht, wenn ein eifersüchtiger Roboter seinen menschlichen Nebenbuhler ausschaltet, sondern wenn
ein Mensch sich freiwillig für einen Roboter ausspricht?
Immerhin würde eine Roboter-Ehefrau den Haushalt freiwillig erledigen, hätte keine Hobbys oder gar Freundinnen, mit denen sie tratscht. Eine Roboterehefrau würde
nie zunehmen oder dem Junggesellen gar ihren Kinderwunsch aufdrücken. Eine Roboter-Ehefrau hätte nicht nur keine Bedürfnisse, sie hätte auch noch keine Abneigungen. Sie würde die Bedürfnisse
ihres Mannes/Besitzers nicht freiwillig erledigen, nein, sondern sie befriedigen wollen. Warum erst ein Tinder-Profil ausfüllen und dann ein fragiles Date durchleben, wenn eine Frau mit
Traummaßen nur eine Online-Bestellung entfernt ist?
Zu erst ziehen sich einige Menschen also von der Außenwelt zurück, weil sie nicht mehr mit Partnern oder Vorgesetzten streiten wollen. Dann kaufen sie sich eine
Roboterliebe, weil die nicht so anstrengend ist wie ein menschlicher Partner. Keine Konflikte mehr. Nie mehr.
Und dann . . . dann schickt man den Roboter los, um auch noch den letzten Rest Arbeit in der Außenwelt zu erledigen.
Seien wir ehrlich,Roboter und Künstliche Intelligenz werden uns doch schon lange versprochen. Was ich hier beschreibe, ist also keine Frage der Technik, sondern der
sozialen Entwicklung.
Diese Entwicklung würde sich nur durch Gesetzte abwenden lassen, die die Erscheinung von Androiden beschränken würde.
Roboter oder Mensch? Titan-Abkommen oder nicht?
Ich gebe es zu, bevor jemand die Quellenangaben zurückverfolgt, einen Teil der Geschichte habe ich mir ausgedacht, aber nur einen Teil. Ich denke jedoch, sie sind
so naheliegend, dass diese Entwicklung geradezu als gesichert gilt.
Weitere Links:
https://www.wissenschaft.de/magazin/bdw-sonderhefte/kuenstliche-intelligenz/
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